Donnerstag, 6. Juni 2013

Der Tag danach

Noch nie hatte sich jemand getraut, die Regentin aus dem Schlaf zu wecken. Nichts kann so dringend sein, dass man dieses Wagnis auf sich nehmen wollte.
So wurde es Mittag, bis sie träge und orientierungslos die Augen aufschlug. Den Versuch den Kopf zu heben bereute sie sofort, es schien, als spannte sich ein gewaltiger Schraubstock um ihren Kopf, und ihm gefiel es, mal mehr oder weniger Druck auszuüben. Sie presste Augen und Lippen zusammen und mit schmerzverzerrtem Gesicht massierte sie sich die Schläfen.
"Bei den Pristerkönigen .. " murmelte sie gequält. "Eindeutig ein Kalana zu viel gestern."

Dela, eine der verbliebenen Sklavinnen, kam mit dem obligatorischen Schwarzen Wein an ihr Bett. Sie musste den heute wohl an die viermal aufgebrüht haben, um ihn frisch und heiss servieren zu können. Still und demütig reichte sie ihrer Herrin die Schale über die Bettkannte an und versuchte sie auch gleich mit einem Lächeln milde zu stimmen.
Mit finsterem und noch immer gequälten Gesicht nahm sie das sündhaft teure Getränk, nippte daran und mit einem zufriedenen Kopfnicken entließ sie die Kajira für's erste.

Wieder allein im Raum, versuchte sie sich den gestrigen Tag in Erinnerung zu rufen. 'Wie bin ich eigentlich ins Bett gekommen?' schoss es ihr durch's gemarterte Hirn .. sie schien bekleidet, wollte sich aber nicht die Mühe machen, genauer nachzusehn. Nach ein paar weiteren Schlucken fühlte sie sich nicht mehr ganz so elend, stellte die leere Schale ab und lehnte sich einigermaßen aufrecht sitzend an ein Kissen.
Langsam kam auch die Erinnerung wieder, es war Sids Todestag gewesen, gestern vor einem Jahr ist er gestorben.

Es war ihre Absicht gewesen an diesem Tag ein Wagenrennen zu veranstalten, war doch das Teibarium eines der bedeutensten Bauwerke, die er in seinem Leben geschaffen hatte. Aber um so näher der Tag kam, um so mutloser und bedrückter wurde sie. Letztendlich entschied sie sich dagegen, nicht zuletzt auch wegen der sonstigen Umstände, mit denen Kasra zu kämpfen hatte.
Sie wollte den Abend allein verbringen, allein mit einer Bota Kalana und alten Briefen von Sid. Sie vermied es sonst, darin zu blättern, Sids Präsenz ist in dem Gutshof ohnehin allgegenwärtig und es verging kein Tag, ohne dass sie an ihn dachte .. und dafür brauchte sie weder Arena, noch Hof.

Es blieb nicht aus, dass sie auch das letzte Jahr überdachte, das erste Jahr ohne Sid Scarmon.
Und so kam es dann wohl auch, dass sie sich später eine weitere Bota bringen ließ und .. sie schmeckte ihre Lippen und den Gaumen .. 'Hab ich etwa Paga getrunken ??'

Sie quälte sich aus dem Bett, ließ sich entkleiden, waschen und frisch einkleiden.
"Obst .. ich will nur Brot und Obst und Wasser" befahl sie der Kajira, trat mutig die Treppen herunter und noch mutiger nach draussen in die heisse Mittagssonne. Langsam ging es ihr besser. So schlenderte sie noch herum, um mit klarerem Kopf den restlichen Tag zu durchdenken. Der Schuldschein stand auf der Tagesordnung, aber den hat sie komplett der blauen Kaste überantwortet. Bauplatz für die nächste Bauphase war auch geschaffen worden, sie konnte die Reise also wie geplant antreten.
Ihr Ziel war die Stadt Lydius, ein eher inoffizieller und freundschaftlicher Besuch beim Verbündeten. Ausserdem konnte sie endlich den neuen Botschafter dort ansprechen.

So ging sie dann noch leicht unsicher auf den Beinen wieder hinein und nach der stärkenden Mahlzeit hielt sie sich sogar für reisefähig. Ihr Reisekorb war bereits gepackt, der Tarnreiter prüfte noch ein letztes mal sämtliche Befestigungen und schnallte sie dann ebenfalls im Korb an. Ein Bote wurde in die Stadt geschickt um zu verkünden, dass die Regentin ihre Reise angetreten habe und sie selbst war freudig gespannt. Sie liebte den Flug im Tarnkorb über alles. Klar, das könnte sie jeden Tag haben, aber erst ein Ziel macht aus einem Flug eine Reise und die verspricht Abwechslung vom Alltag.

Sie rasteten einige Male incognito, standen ja nicht unter Zeitdruck, und es tat ganz gut im Bett zu schlafen. Zwei Flugstunden von Lydius entfernt rasteten sie ein letztes Mal. Sie machte sich frisch und zog eine bessere Robe an, um nicht ganz so abgekämpft dort anzukommen. Die Sonne ging bald unter und der Tarn erhob sich wieder in die Lüfte dem Ziel entgegen.

Kurz vor Lydius geschah es dann, der Tarn begann unkontrollierter zu fliegen. Klar, Tarnflüge sind unruhig, wenn das Tier nicht segelt. Aber dieses Tier hier begann sich langsam wie wild zu gebärden. Die Regentin schaute besorgt aus dem schaukelnden Korb nach oben .. der Tarnreiter war noch da. seine Beine waren zu sehen, er selbst angeschnallt im Sattel wirkte leblos auf sie. Ein heiseres erst vorsichtiges, dann panikartiges Schreien, verebbte ohne Resonanz .. sie krallte sich in die Flechten des Korbes.
Derweil wurde der Flug immer wilder, auch wenn die grobe Richtung noch stimmte, sie konnte die Türme von Lydius sehen, die Mauern erahnen.

"WAAAHHHHH ... !!" schrie sie, als das Tier plötzlich durchsackte wie ein Stein und dann mit angestrengtem Flügelschlag wieder etwas an Höhe gewann. Sie erbrach sich und riss sich den Schleier vom Gesicht. Todesangst spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. Der Tarn verlor erneut an Höhe und segelte nun knapp oberhalb der Baumwipfel, alsob es sie in dem Korb gar nicht gäbe oder er die Last abstreifen wolle. Die Regentin riss die Augen auf und schrie nach Leibeskräften .. der Korb kollidierte bereits mit einigen höheren Baumspitzen und schwankte wild vor und zurück.

Mit einem derben Knirschen und einem brutalen Schlag verfing sich der Korb in einer Baumgruppe, zersplitterte und riss ab. Auch ihre Sicherungsgurte lösten sich, wie überhaupt alles plötzlich durcheinanderflog und sie zappelnd in die Luft geschleudert wurde.
Wild rudernd krachte sie durch dickes, bremsendes Geäst dem Boden entgegen und schlug auf. Ihr Augenlider flackerten .. dann verlor sie das Bewusstsein.



P.S.: Sids digitale Spuren

http://feuerkrug.blogspot.de/2011/12/das-groe-wagenrennen.html
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